Der smarte Wohnungsbauer
Wie aus einem Solothurner Anwalt einer der grössten privaten Erbauer und Betreiber von smarten Wohnungen wurde.
Der Text von Kurt Aeschbacher ist im Magazin «50plus», Ausgabe 4/2017, erschienen. bonacasa veröffentlich den Text mit freundlicher Genehmigung.
Im Dachstock eines Altersheims in Biberist hat vor 17 Jahren alles angefangen. Dort realisierte Ivo Bracher die ersten Wohnungen nach seinen Ideen. Auslöser waren zwei Erkenntnisse: Der Vorstand des anerkanntermassen besten Altersheims der Region meinte unisono, dass niemand dieses Gremiums je in das Heim einziehen würde. Daneben war es die Erinnerung an seine Grossmutter, die mit ihrem Rollstuhl in seinem Elternhaus keine Toilette erreichen konnte. Das alles wollte er ändern. Seitdem hat er seinen Anwaltsjob weitgehend an den Nagel gehängt und realisierte nach seinen Visionen rund 1000 Wohneinheiten, die eine echte Alternative zum Leben in einem Heim darstellen. Wohnungen ohne Hindernisse, auf die Bedürfnisse von älteren Menschen ausgerichtet, aber mit ihrem Dienstleistungsangebot genau so für junge Familien geeignet. Mit dem Anlagevehikel «bonainvest», in das Ivo Bracher sein Erspartes investierte, begeisterte er einige Freunde und bald auch die Pensionskassen der Migros und von COOP. Heute sind es rund 120 Investoren, die ein Eigenkapital von über 250 Millionen eingebracht haben.
Die Idee mit der Vernetzung von Bau, Technologie und speziellen Dienstleistungen ist so erfolgreich, dass das Unternehmen «bonacasa» aktuell gegen 6000 Wohnungen von Drittinvestoren unter Vertrag nehmen konnte. Was steckt hinter dieser Erfolgsgeschichte von autonomem Wohnen mit Service? 50plus hat nachgefragt.

Mit «bonacasa» erstellen Sie sogenannte smarte Wohnungen. Was war Ihre Motivation, als Anwalt in dieses Immobiliensegment einzusteigen?
Ich bin heute über 25 Jahre ehrenamtlich im generationentauglichen Bauen tätig. Zuerst half ich, über 50 Genossenschaften zu gründen und viele auch zu leiten. Dabei hatte ich meine Grossmutter im Rollstuhl vor Augen. Als sie uns im Elternhaus besuchte, musste sie – da keine Toilette für den Rollstuhl erreichbar war – in der Garage auf ein behelfsmässiges WC. Das wollte ich ändern. Smarte Wohnungen zu bauen, die für alle Generationen tauglich sind, wurde immer mehr zu meinem Lebensinhalt. Mit der Gründung von «bonainvest» Ende 2009 habe ich alles andere zurückgestellt.
Um was ging es Ihnen bei Ihren ersten Projekten?
Es ging mir darum, gute, smarte Wohnungen an zentralen Lagen zu bauen. Dies erstmals in Biberist, der Gemeinde, in der ich aufgewachsen bin.
Was ist dabei Ihr Ziel?
Nachhaltigkeit in allen Belangen: zentrale Lage, gute Architektur, Anschluss an den öffentlichen Verkehr, minimierter Energieverbrauch, für alle Generationen tauglich dank einem Vernetzungskonzept. Es verbindet Bewohner untereinander und andererseits Bewohner mit Dienstleistungen und Sicherheit rund um die Uhr. Alles in allem ergibt sich daraus Mehrwert für die Bewohner und eine faire Rendite für die Anleger.

Bauen Sie unter diesen Voraussetzungen hauptsächlich Alterswohnungen?
Alle unsere Wohnungen taugen als Alterswohnungen: Ich kann darin im Rollstuhl zu Besuch kommen oder leben. Die Wohnungen werden aber für alle Generationen konzipiert.
Wie Generationen-durchmischt sind Ihre Überbauungen heute?
Der Altersdurchschnitt der Bewohner, über alle Siedlungen betrachtet, liegt bei gut 50 Jahren. Die Generationendurchmischung funktioniert.
Wie sieht der Anteil zwischen Miete und Eigentum aus?
«bonainvest» baut für seine Anleger ein nachhaltiges Portfolio auf: Somit liegt seit einigen Jahren der Fokus vor allem auf Mietwohnungen. Denn die rund 60 in «bonainvest» investierten Pensionskassen müssen aus der Dividende eine Rente ausschütten können. Und auch die Privatinvestoren erwarten eine faire Rendite.
Smart ist heute fast ein Allerweltsbegriff. Was verstehen Sie unter smartem Wohnen?
Smart im Sinne von Vernetzung von baulichen Elementen mit 24/7-Sicherheit und individuell abrufbaren Services. Dieses Zusammenspiel konnten wir dank unseren Erfahrungen erproben und standardisieren. Aber die Wohnung muss auch «cool» sein. Für Junge wie für Ältere: Smart also auch im Sinne der verbauten Haustechnologie, welche die Alarmierung im Notfall oder bei Feuer erlaubt. Die Bedienung von Storen, Licht, der Haus- und Wohnungstüröffnung muss unkompliziert und preislich attraktiv sein.
Wie hat sich der Technologie-Standard in den letzten Jahren entwickelt?
Viele Systeme sind am Markt und es kommen laufend neue dazu. Wir haben die wichtigsten in unseren Wohnungen getestet. Denn nur unter authentischen Rahmenbedingungen erkennt man Stärken und Schwächen. Weil dieser Bereich äusserst dynamisch ist, bauen wir mit unseren wichtigsten Partnern unter dem Label «bonacasa smart living lab» eine grossflächige Testumgebung auf.

Überfordern Sie mit all den smarten Möglichkeiten nicht auch die Bewohner?
Wir überfordern nur, wenn wir den Bewohner nicht ernst nehmen. Deshalb suchen wir gemeinsam mit Bewohnern die besten Lösungen. Sei dies im Bereich der individuellen Dienstleistungen oder bei der Haustechnologie: Möglichst wenig Tasten, sinnvoll platziert, einfach zu bedienen. Dank den regelmässigen Rückmeldungen wissen wir, wo der Alarmknopf optimal platziert ist oder wie die optionale Lösung gehandhabt werden soll, die erkennt, wenn jemand am Boden liegt oder am Morgen nicht aufsteht.
Wie viel teurer sind smarte Wohnungen im Vergleich zu traditionellen Wohnbauten?
Unsere Baumassnahmen kosten pro Wohnung ca. drei bis zehn Prozent mehr, je nach Basisausbaustandard. Im Sinne der verändernden Demografie sind diese Kosten sehr klug investiertes Geld. Die Vernetzung zur smarten Wohnung mit der ganzen Haustechnologie kostet übrigens nicht mehr 30 000 Franken oder mehr wie noch vor wenigen Jahren, sondern rund 1500 Franken je Zimmer. Vorausgesetzt, die Technologie wird in Serie eingebaut.
Welche Dienstleistungen bieten Sie konkret an?
Dienstleistungen und 24/7-Sicherheit für die Bewohner gehen Hand in Hand. Die Dienstleistungen umfassen das Spektrum, das komfortables Wohnen für den jungen und autonomes, sicheres Wohnen für den älteren Bewohner ermöglicht. Am meisten gefragt sind neben den 24/7-Sicherheitsdienstleistungen vor allem Reinigung, Betreuung während den Ferien und Fahrdienste.
Wer betreibt die Notrufzentrale?
Wir übernehmen die volle Verantwortung für die Integration unserer Wohnungen in die Notrufzentrale und den reibungslosen Ablauf der Rettungskette – von der Alarmierung bis hin zum schnellstmöglichen Eintreffen der Rettungskräfte in die betroffenen Wohnungen. Dazu haben wir jedes Haus mit einem speziellen Schlüsseltresor ausgestattet. Die Kosten tragen die Stockwerkeigentümer und Mieter. Einige externe Bauherren haben die Kosten direkt in die Mieten integriert.
Wie sieht das Entschädigungsmodell für die zusätzlichen Dienstleistungen aus?
Wir wollen die Leute zur Nachbarschaftshilfe motivieren: Denn sich gegenseitig helfen, ist am günstigsten und stiftet Sinn. Wenn Reinigungsdienste über «bonaclean» abgerufen werden, kostet dies 35 Franken die Stunde. Falls die Concierge von «bonacasa» individuell gebucht wird und hilft, verrechnen wir 40 Franken die Stunde. Ins Serviceangebot integrierte Drittanbieter, zum Beispiel Waschsalons, rechnen direkt mit den Bewohnern ab. Ziel ist, dass wir kostengünstig, mit hoher Transparenz und mit einfacher Administration arbeiten.
Welchen Aufpreis müssen die Bewohner für smartes Wohnen begleichen?
Die Kosten der Wohnung sind mit anderen komfortablen Wohnungen im Markt vergleichbar. In den Nebenkosten sind je nach Dienstleitungstiefe zwischen 10 und 40 Franken monatlich einzurechnen. Das ist ein relativ preiswerter Zusatznutzen, der auch nachträglich in Bestandswohnungen
angeboten werden kann.

Wie und von wem hauptsächlich werden die angebotenen Dienstleistungen genutzt?
Jüngere Bewohner sind Dienstleistungen gegenüber grundsätzlich offener und konsumieren im Sinne von Komfort und weniger Routinearbeiten viel und gerne. Bei den älteren Bewohnern dauert es meistens eine Weile, bis das Eis geschmolzen und die Bereitschaft zur Dienstleistung vorhanden ist. Unbestritten und akzeptiert sind von Beginn weg die 24/7-Sicherheitsservices. Dann folgen Reinigungs-services. Überzeugen diese, wird das Servicespektrum immer weiter.
Was heisst für Sie 24/7-Sicherheit?
Sie beginnt bei den Daten: Das soziale Netz unserer Bewohner ist gespeichert und die Wünsche, wer in welchem Notfall informiert werden soll. Ausserdem nehmen wir, falls die Bewohner dem zustimmen, Medikations- und Krankheitsdaten auf, damit im Alarmfall optimal geholfen werden kann. Im Alarmierungsfall selber entscheidet die Notrufzentrale, ob eine Bezugsperson aufgeboten werden soll oder direkt die Ambulanz. Ist es Letzteres, erhalten die lokalen Rettungskräfte Zugangscodes für den Schlüsseltresor und gelangen damit maximal schnell in die Wohnungen der betroffenen Bewohner.

Sind ein Schlüsseltresor oder ein intelligenter Briefkasten schöne Gadgets oder werden sie auch benutzt?
Die Schlüsseltresore und die anderen Schlüssellösungen sind absolut wichtige Elemente der Rettungskette. In unseren eigenen ca. 1000 Wohnungen werden monatlich rund zehn ernste Notrufe abgesetzt. Die Infrastruktur kommt also zum Einsatz. Punkto intelligente Briefkästen wird die Antwort über das unglaubliche Wachstum von Amazon, Zalando usw. gegeben: Die Zustellung und Rücksendung von Paketen soll möglichst einfach und ohne Besuch auf der Postfiliale geschehen.
Welche Funktionen übernimmt der Conciergedienst?
Der Dienst ist mit dem Concierge in einem guten Hotel vergleichbar: Unsere Concierges organisieren, lüften bei Abwesenheit, unterstützen administrativ oder tragen schnell die schweren PET-Flaschen in die Wohnung. Dank der grossen Mengen sowie der erprobten IT und Logistik im Hintergrund können diese Dienstleistungen aber sehr viel günstiger als im Fünfsternehotel abgewickelt werden.
Sind letztendlich die menschlichen Begegnungen wichtiger als alle smarten Einrichtungen? Wie wird man ihnen gerecht?
Wer bei uns einzieht, wird persönlich begrüsst. Wir erfassen – wenn dies der Bewohner will – seine Vorlieben.
Das erlaubt uns dann passende, interaktionsfreudige Bewohner miteinander zu vernetzen. Somit: Die Einrichtungen sind smart, digital und hocheffizient. Dies aber im Sinne des persönlichen Wohlbefindens und der persönlichen Begegnungen. Wie intelligent darf eine Wohnung sein, damit sich die Bewohner darin noch wohlfühlen und nicht von Algorithmen kontrolliert werden? Wir haben Kameras als Hilfsmittel getestet. Die Akzeptanz der Bewohner war zu gering, als dass wir dies zum Standard gemacht hätten. Interessierte Bewohner können aber problemlos auf der bestehenden Infrastruktur individuell Kameras anschliessen oder Sensoren mit unzähligen Möglichkeiten installieren. Ganz grundsätzlich darf die Wohnung im Basisangebot «nur» so smart sein, dass die Bedienerfreundlichkeit nachvollziehbar bleibt und klare, nachvollziehbare Funktionen erfüllt. Also zum Beispiel Alarmierung oder Jalousien-Bedienung. Ein individueller Weiterausbau zu möglichst tiefen Kosten soll aber möglich sein.
Was sind die nächsten Schritte, Entwicklungen im smarten Wohnen?
Sprachsteuerungen sind derzeit bei der Bedienung von Autos im Vormarsch. Sobald die Systeme stabil sind, werden wir sie auch in den Wohnungen integrieren. Unsere Systeme sind darauf vorbereitet. Ausserdem dringen Apple, Amazon und Google mit diversen Projekten und Initiativen in die Wohnungen ihrer User vor. Intelligente Lautsprecher, Multimedia-Installationen etc. binden wir in unsere Standards dann mit ein, wenn sie den Bewohnern Mehrwerte bringen.
Das ganze Interview als PDF
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Monatlich werden rund zehn ernste Notrufe abgesetzt.
Ivo Bracher, Präsident des Verwaltungsrats und Vorsitzender der Geschäftsleitung der bonainvest Holding AG