Der Mensch macht’s aus
Der Mensch macht’s aus, Christine Künzler interviewt Jörg Hunziker, Projektleiter bonainvest.
Die bonainvest Holding AG, baut bonacasa-Wohnungen im Minergie-Standard. Der Architekt Jörg Hunziker, verantwortlich für Bauprojekte bei bonainvest, gibt zu bedenken, dass Minergie allein noch keinen Beitrag zur Nachhaltigkeit garantiert.
bonalifestyle: Jörg Hunziker, die ersten Minergie-Häuser sind vor 20 Jahren realisiert worden. Seit wann baut die bonainvest Holding AG Häuser im Minergie-Standard?
Jörg Hunziker: bonainvest realisierte bereits im Jahr 2000 ihre erste Überbauung nach dem Minergie-Standard. Also kurze Zeit nachdem die Minergie-Zertifizierung lanciert worden war.
Weshalb setzen Sie auf Minergie?
Aus der Überzeugung, dass eine nachhaltige Bauweise richtig ist. Klar, zu Beginn war es zusätzlich auch ein Verkaufsargument, heute ist für grössere Immobilienträger Minergie jedoch normal und Standard. Minergie-P Eco oder Passivhäuser im Sinne der 2'000-Watt-Gesellschaft sind heute die neuen Marketing-Argumente.
Ist Minergie Eco, der Standard, der zusätzlich eine gesunde und ökologische Bauweise beinhaltet, also ein Thema für bonainvest?
Minergie-P Eco stellt grosse Anforderungen an die Planung und an die Baustoffe. Diese sind kostenintensiv, und nicht alle können oder wollen sich diese Bauweise leisten. Bestimmte Gemeinden lassen aufgrund der ortsüblichen Verkaufs- und Mietsituation keinen Spielraum für teure Bauweisen zu. Das gilt insbesondere für Bauten nach den Richtlinien der 2'000-Watt-Gesellschaft, die Grundvoraussetzungen wie ein angemessenes ÖV-Angebot erfordern.
Wie hat sich der Minergie-Standard in den letzten 20 Jahren entwickelt?
Primär hat sich der Minergie-Standard hinsichtlich der zu erfüllenden Kennzahlen, Messwerte usw. sowie der technischen Konzepte und Installationen stark weiterentwickelt. Bei der Minergie- Zertifizierung wurde ausschliesslich die Baute respektive deren Realisierung berücksichtigt. Vernachlässigt worden ist jedoch der Energieverbrauch generell. So hat man zum Beispiel dem Verhalten der Bewohner und deren Bedürfnissen etwa bezüglich Mobilität zu wenig Beachtung geschenkt, beziehungsweise sie nicht berücksichtigt.

Wie nachhaltig ist eine durchschnittliche 4-Zimmer-Minergie-Wohnung?
Dies hängt stark vom Verhalten der Bewohner ab. Minergie alleine garantiert noch keine Nachhaltigkeit – sie bildet lediglich eine gute Voraussetzung. Findet keine periodische Filterreinigung statt, wird das Lüftungssystem durch dauern geöffnete Fenster gestört oder ist die Komfortlüftung gar ausgeschaltet, können die teuren, baulichen Investitionen das Ziel einer energetisch optimierten Wohnung nicht erfüllen. Nur bei richtiger Anwendung und entsprechendem Verhalten der Bewohner stellt eine Minergie-Wohnung einen positiven Beitrag zur Nachhaltigkeit dar. Wie hoch sind die baulichen Mehrkosten bei einer neuen Wohnung dieser Grösse? Diese Frage kann so nicht beantwortet werden. Je nach Wahl des Minergie-Konzepts, der Grösse der Baute respektive der Überbauung sowie dem Baustandard können die Mehrkosten sehr variieren. Wann ist es sinnvoll, ältere Häuser nach dem Minergie-Standard zu sanieren? Grundsätzlich lassen sich Gebäudehülle, Fassade, Dach und Fenster immer gut isolieren. Eine Komfortlüftung kann in den Fensterrahmen integriert werden. Meistens sind jedoch die Sanierungsmassnahmen aufgrund der gegebenen Baustruktur, etwa durch tragende Wände, oder der vorhandenen Materialien, etwa Bruchsteinwände, Holzböden und so weiter, sehr aufwendig. Zusätzlich erschweren häufig Höhendifferenzen eine behindertengerechte Bauweise, und die angestrebte Nutzung wird eingeschränkt. bonainvest realisiert deshalb primär Neubauten, und bestehende Bauten werden rückgebaut. Soll man eine Minergie-Wohnung lüften oder nicht? Diese Frage kann zu Unstimmigkeiten in einer Hausgemeinschaft führen. Grundsätzlich müss(t)en Minergie-Wohnungen nicht gelüftet werden. Denn Minergie funktioniert als ein in sich geschlossenes System, und die Lüftungen erfolgt mechanisch. Bei starken Geruchsimmissionen oder massiver Feuchtigkeit in der Wohnung kann es aber sinnvoll sein, kurz eine Stosslüftung vorzunehmen. Hier zeigt sich jedoch das eigentliche Problem der Minergie-Anlagen: Das Verhalten und die Bedürfnisse der Bewohner, wie das Schlafen «nur» bei offenem Fenster oder die geöffneten Balkontüren zu Garten oder Terrassen, können im Minergie-Konzept nicht berücksichtigt werden.
Soll die Komfortlüftung im Sommer also nicht ausgeschaltet werden?
Ich bin der Meinung, dass im Sommer zur Sicherstellung eines angenehm kühlen Wohnklimas die Fenster und Türen nicht dauernd geöffnet sein sollten.
Generell ist die trockene Luft, gerade wenn nur eine oder zwei Personen im Haus oder in der Wohnung leben, ein Nachteil der Komfortlüftung. Was lässt sich dagegen tun?
Grundsätzlich gilt: Hohe Luftfeuchtigkeit ist der grösste Feind einer gesunden Wohnung! Ein normales Alltagsverhalten mit Duschen und Kochen sowie Pflanzen in der Wohnung helfen, für ausreichend Feuchtigkeit zu sorgen. Allenfalls trägt auch eine Schale mit Wasser zur Feuchtigkeitsabgabe bei.


Generell stellt sich die Frage, ob Minergie-Häuser nicht zu dicht sind. Der natürliche Feuchtigkeitsaustausch findet nicht mehr statt …
Ein Haus kann nie zu dicht sein – undichte Stellen sind der Anfang eines jeden Bauschadens. Ich denke da etwa an Schimmelbildung und Verschmutzungen.
Die Minergie-Fachstelle prüft nun die Möglichkeit, den Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz als Zusatz einzuführen und umzusetzen. Was halten Sie davon?
Der primäre Erfolg von Minergie besteht sicherlich darin, dass Bauherrschaften in den letzten Jahrzehnten bezüglich Umgang mit Energie und Umwelt sensibilisiert wurden, was zu einem klaren Umdenken geführt hat. Minergie ist in der Bevölkerung ein bekannter Begriff, obwohl nicht alle das Gleiche darunter verstehen. Weil, wie gesagt, Minergie alleine noch kein Garant für Nachhaltigkeit ist, sondern auch das Verhalten der Bewohner seine Wichtigkeit hat, begrüsst die bonainvest AG die Weiterentwicklung mittels des Standards Nachhaltiges Bauen Schweiz. So trägt die neue Zielsetzung «Umwelt» zu einer ganzheitlichen Betrachtung der Ressourcen bei und regt hoffentlich auch die Bewohner und Nutzer zu einem entsprechenden Umgang mit den Ressourcen in ihrem Alltagsverhalten an. Denn um einen wirklichen Beitrag an die Nachhaltigkeit zu leisten, braucht es mehr als nur ein Minergie-Haus. Wichtig erscheint mir jedoch auch, Minergie-Neubauten nicht mit allzu technischen und komplexen Anlagen aufrüsten zu müssen. Denn technische Einrichtungen sind meist kostenintensiv und bedürfen einer sachgemässen Anwendung, eines fachmännischen Unterhalts und Supports. Zudem können zu komplexe Lösungen, die grundsätzlich interessant sind und zuweilen auch «spielerische Züge» aufweisen, gerade ältere Bewohner in der Anwendung überfordern. Einfache Lösungen, sowohl hinsichtlich der baulichen Erstellung als auch der Anwendung, sollten deshalb vermehrt in Betracht gezogen werden. Manchmal kann weniger auch mehr sein.